Ein Gespräch unter Schreibbegeisterten
Barbara Pachl-Eberhart ist bekannt geworden, weil sie bei einem Unfall ihre gesamte Familie verloren hat. Das war 2008. Seitdem ist viel passiert. Sie hat geschrieben, weil sie nicht darüber reden konnte. So entstand auch das Buch „Vier minus drei“, bei dem sie lernen durfte, was Lektorat und Überarbeitung eines Textes bedeuten und wie aus einer Geschichte ein Buch wird.
Mit all dem Wissen schrieb sie in nur vier Monaten (schwanger mit ihrer Tochter) das Buch „Federleicht. Die kreative Schreibwerkstatt“, das mich schon seit einigen Jahren begleitet und inspiriert. Barbara beschreibt darin mehr als 100 Übungen. In ihrer Lieblings-Lebensgefühls-Manufaktur hält sie Schreibworkshops und unterstützt Menschen bei ihren Schreibprojekten.
Jede Menge Stoff also für ein Gespräch (am Nikolaustag 2024) unter zwei Schreib- und Biografiebegeisterten, das ich hier so gut wie möglich wiedergebe. Es ist wunderbar, ihre Sichtweise einzunehmen. Ich habe jedenfalls viel gelernt dabei. Und: Barbara schenkt uns einige Tipps und Übungen, die ich auf jeden Fall ausprobieren werde.


Schreibmaschine, Handschrift oder Computer?
Hast du heute schon was geschrieben und schreibst du eigentlich jeden Tag?
Ich habe mich heute schon aufs Interview vorbereitet. In einem schreibenden Beruf wie meinem vergeht aber sowieso kein Tag, an dem ich nicht schreibe. Grundsätzlich habe ich aber einen anderen Begriff von regelmäßig. Er lautet: immer, wenn …, dann …
Schreibst du auch mit der Hand?
Ich kann viele Dinge nur mit der Hand schreiben. Meist sind das aber nicht klassische Tagebucheinträge, ich mag das Querformat und mache mir Notizen oder Brainstorming, dabei schreibe ich die Wörter in unterschiedlichen Größen. Ich schreibe langsam und in leserlicher Schrift, das ist ähnlich wie Stempeln. So haben die Wörter Bestand. Wörter sind mein Medium der Liebe – zur Welt, zu anderen, zu mir. Mit der Hand zu schreiben, bedeutet, die Liebe mit dem Stift aufs Papier zu bringen.
Und was kann der Computer fürs Schreiben tun?
Auf dem Computer kann ich leichtfüßig mit Wörtern spielen, er fördert den spielerischen Umgang mit Texten, etwa beim Überarbeiten. Das wird mit der Hand unleserlich. Ich bin für ein sowohl als auch … also sowohl mit der Hand, als auch mit dem Computer.
Wann hast du mit dem Schreiben begonnen?
Sehr früh. Ich habe im Alter von fünf Jahren die Kugelkopfschreibmaschine meines Vaters bekommen, die hat mich fasziniert, und ich habe Gedichte und Briefe an meine Stofftiere geschrieben. Ich konnte schon mit vier Jahren ein bisschen schreiben, mein erstes Buch entstand mit fünf: Schlipsi, der Affe. Auch in der Volksschule machte mir das Schreiben noch Spaß, aber in der Mittelschule hatte ich eine Deutschlehrerin, die mich hasste. Meine Texte strotzten vor „Ausdrucksfehlern“. Es war schrecklich, beurteilt zu werden für etwas, bei dem es keine Regeln gibt. Ich fürchtete mich vor den Deutsch-Schularbeiten.
Wann hast du wieder begonnen zu schreiben?
Auslöser war die Sprachlosigkeit nach meinem Schicksalsschlag 2008. Alle wollten mit mir reden, ich konnte meine Gedanken und Gefühle aber nicht in Worte fassen, stattdessen habe ich geschrieben. Es wurde ein E-Mail, ein achtseitiger Text über mein gesamtes Leben. So hat es begonnen. Und ich liebe das Schreiben bis heute.
Später dann musste ich das Reden wieder lernen. Der Mut zum Gespräch ist nämlich ebenfalls sehr wichtig.
Wichtige Lektion am Anfang: Was willst du damit sagen?
Welche Herausforderungen brachte das Schreiben am Anfang?
Die Herausforderungen entstanden erst nach dem Losschreiben. Ich bekam den Auftrag vom Verlag und durfte ein Buch schreiben, ohne zu wissen, was es bedeutet. Als aber dann das Manuskript zurückkam, war ich sehr überrascht. Alles war voll mit Korrekturen, zwölf bis 15 auf jeder Seite.
Obwohl ich künstlerisch ausgebildet bin und weiß, dass Kritik nichts Böses ist, war das sehr anstrengend und ich war wütend. Doch dann bin ich mit dem Lektor Schritt für Schritt alles durchgegangen und habe mir auf diese Art das Schreiben beigebracht.
Was waren die wichtigsten Lektionen?
Show, don‘t tell (also: zeige, statt zu erzählen). Verwende starke Verben, statt sein und haben. Besorge dir ein Synonym-Wörterbuch.
Der wichtigste Kommentar war aber: „Schreiben Sie die Szene, als Sie den Anruf bekamen und vom Unfall ihrer Familie erfuhren, im Präsens.“ Das zwang mich, anders zu schreiben. Das Präsens verlangt nach dem Unmittelbaren, nach kleinen Momenten. Aus einer Seite wurden vier Seiten und als ich damit fertig war, habe ich gezittert. Das hat mir vieles klar gemacht.
Ich erinnere mich außerdem, dass der Lektor immer sagte: „Was wollen Sie damit sagen?“ Daraufhin habe ich erzählt, und er deutete mit dem Zeigefinger auf den Text: „Dann müssen sie das auch schreiben!“
Was waren die Glücksmomente beim Schreiben?
Diese gab es jeden Abend, wenn ich meinem Lebensgefährten, der das Projekt sehr unterstützt hat, vorlesen durfte. Er war ein sehr wohlwollender Zuhörer und dieses Vorlesen am Sofa hat ich motiviert.
Schön war auch das Schreiben von Szenen. Sie sind klar abgegrenzt, es gibt einen klaren Anfang und ein Ende. Es sind also überschaubare Häppchen, diese fertig zu schreiben, machte mich glücklich.
Der Stoff kommt aus der eigenen Erfahrung
Was bringt dir das Schreiben – und was kann es für andere tun?
Es schenkt Zeit, und wir können warten, bis die Worte kommen. Sie gehen nicht direkt an den Empfänger, und wir haben immer die Möglichkeit, zu prüfen, ob wir etwas ändern möchten.
Ich nenne das den Hallraum für die Worte – es ist wie in der Kirche oder in einer Unterführung zu singen. Hier entsteht Beziehung.
Schreiben ist zudem wie ein externes Speichermedium, es macht Platz für neue Gedanken. Wie bei der Kaffeemaschine sollte man einfach manchmal den „Satzbehälter leeren“!
Hat sich dein Schreiben verändert im Laufe der Jahre?
Ich habe meine Palette erweitert, das Wesentlichste ist aber: Es ist mir heute klarer, was ich gerade schreibe. Ich gehe bewusster mit Stilmitteln für verschiedene Genres um: Ist es ein Newsletter, eine Erzählung, eine Szene, ein Gedicht oder ein Songtext? Das theoretische Wissen darüber erweitert die Möglichkeiten. Es bedeutet: Du darfst. Etwa, wenn du einen Dialog schreibst: Du darfst das Wetter einbeziehen, den Kellner und andere Nebenfiguren – so macht es gleich mehr Spaß!
Genüsslich über andere schreiben
Du hast schon viel Biografisches geschrieben – kannst du eigentlich auch Fantasy – oder wie ich nur echte Geschichten aus dem Leben schreiben?
Ich dachte lang, ich kann das nicht. Das Erste abseits vom Biografischen war ein Märchen. Danach habe ich mir eine Challenge gestellt und einen Adventkalender gestaltet: Jeden Tag eine Geschichte mit Herz. Ich habe es nicht bis zum 24. Dezember geschafft, aber viel gelernt.
Mittlerweile bin ich der festen Überzeugung, dass der Unterschied nicht so groß ist. Der Stoff kommt auch bei Fantasiegeschichten aus der eigenen Erfahrung, ich muss mich aber nicht um die Wahrheit kümmern, kann genussvoll über andere schreiben, ohne dass die sich beschweren, ich kann alle Erfahrungen vermischen – aus Winter wird Sommer, aus dem Kaffeehaus wird der Supermarkt.
Sehr cool! Wie kann ich mir diese Fähigkeiten aneignen?
Ich würde mich schrittweise annähern: Zuerst in der dritten Person schreiben. Oder einen Dialog beschreiben, den man gerne geführt hätte, oder gerne führen wurde. Den Dialog kannst du in eine Szene einbauen, sodass auch das Nichtgesagte oder ein Lied im Radio die Antwort ergänzen können. Mein Buchtipp, um besser schreiben zu lernen: „Bei Regen in einem Teich schwimmen“
Von Tischtuchfalten und Riesengebirgen
Als Biografin habe ich erlebt, was es mit Menschen macht, wenn sie ihre Geschichte aufschreiben lassen und als Buch in Händen halten – dieses Strahlen! Kennst du auch solche Momente nach einem Schreibprozess?
Voll! Ich liebe es, im Word das Papierformat zu ändern. Von A4 ins Taschenbuchformat, von Flattersatz auf Block, eine Leerzeile zwischen den Absätzen einfügen, die Schriftart ändern – dann schaut es aus wie ein Buch. Ein schöner Moment!
Heutzutage gibt es auch die Möglichkeit, über die Online-Druckerei ein einziges Exemplar zu bestellen. Das ist eine gute Sache, denn im Buch erkennt man andere Dinge. Man liest wie eine Leserin, findet die Fehler und erkennt, ist etwas zu lang, zu kurz, fehlt etwas?
In meinem Seminar über Biografisches Schreiben machen wir gleich aus den ersten sieben Geschichten ein Buch. Wir schreiben sogar eine Rezension für unser Buch.
Das ist genial. Ich finde auch, dass jede Lebensgeschichte so wertvoll und wichtig ist, dass man sie erzählen und aufschreiben sollte – siehst du das auch so?
Ja, es können im Grunde nur zwei Dinge passieren: Die Leser erkennen sich wieder und sind glücklich, oder sie lernen etwas Neues kennen und sind glücklich. Langweilig wird es, wenn wir selber glauben, dass es nicht interessant ist, und beginnen zu hudeln. Dann geht es nicht genug in die Tiefe.
Eine Übung lautet: Schreibe 10 Dinge auf, die du in den letzten 5 Minuten erlebt hast. Im Leben suchen wir immer nach den großen Geschichten. Wenn man aber nah heranzoomt, sieht man auch die Falten im Tischtuch, wenn man in die Ferne schaut, erkennt man nur das Riesengebirge.
Das Tagebuch ist eine gute Sache in diesem Zusammenhang: Denn, wenn ich Übung bekomme, über das Jetzt zu schreiben, erweitere ich meine Fähigkeiten, über die Vergangenheit zu schreiben.
Ich versuche, den Menschen in meinen Workshops Absichtslosigkeit beim Schreiben zu vermitteln, weil‘s dann leichter geht. Was ist deine Strategie, um einen Schreibflow zu erzeugen?
Mein erster Tipp: Schreibe das Buch an eine einzige Person. Stell dir vor, es gibt diesen einen Menschen, dem du deine Geschichte erzählen möchtest. Mein Buch begann auch als Brief an meinen damaligen Lebensgefährten, ich schreibe immer an ein Du, es ist also eine Art Brief.
Dazu könnt ihr euch dieses Videos anschauen: Für diese Menschen schreibe ich.
Oder dieses: Für diese Menschen schreibe ich nicht.
Mein zweiter Tipp: Du musst mit dem ersten Gedanken beginnen. Keiner kann auf Anhieb den dritten Takt von „Hänschen Klein“ singen, man muss von vorne beginnen. Das gilt auch fürs Schreiben. Beginne von vorne und irgendwann wird er kommen, der tolle Gedanke, der andere berührt.
Barbaras Lieblings-Schreibübung
Meine liebste Schreibübung ist die magische Geschichtenformel „eins-zwei-vier-acht“, die ich selbst erfunden habe. Sie geht so:
- Schreibe deine Geschichte in einem Satz.
- Schreibe sie in zwei Zeilen. Nicht die gleichen Worte, aber das gleiche erzählen.
- Schreibe sie in vier Zeilen.
- Und schreibe sie jetzt in acht Zeilen. Hier fängt die Geschichte an, und du kannst endlich alles erzählen. Acht Zeilen in A4 sind fast eine ganze Buchseite.
Wer das kann, weiß also auch, wie man eine längere Geschichte schreibt.
Was mich beeindruckt, sind deine Anleitungen zur Überarbeitung von Texten. Viele Bücher drehen sich nur um den kreativen Schreibprozess, nicht aber um den Feinschliff. Worauf kommt es an?
Das Wichtigste ist: Absätze setzen und Leerzeilen einfügen, damit man kleinere Häppchen bekommt.
Danach kann ich feststellen, was mir die einzelnen Absätze erzählen wollen. Das schreibe ich auf Post-its. Es geht beim Überarbeiten oft um die richtige Reihenfolge. Man muss also den Mut haben, Absätze neu zu ordnen!
Dafür kann man auch mit unterschiedlichen Schriftfarben oder Schriftarten arbeiten: Gedanken bekommen eine Farbe, Szenen eine zweite Farbe, Gefühle eine weitere Farbe. Danach kann ich es ordnen und wieder durchlesen. Am besten laut vorlesen. Durchs eigene Ohr hört man die Stärken des Textes. Das geht ins Herz. Was wir sehen, geht eher ins kritische Gehirn.
Ich bin dafür, spielerisch zu arbeiten, zum Beispiel alle Eigenschaftswörter zu streichen, und zu hören, wie das klingt. Der Vorgang müsste eigentlich überspielen heißen, nicht überarbeiten.
So wird der innere Kritiker zur Verbündeten
Was sagst du Menschen, die immer unzufrieden sind mit ihren Texten?
Mein Ansatz ist, den inneren Kritiker zum Verbündeten zu machen. Dafür musst du analysieren, was gute Autorinnen anders machen. Es ist wichtig, von den Meistern zu lernen. So wird der innere Kritiker zum inneren Experten, den ich immer wieder befragen kann.
Schlechte Texte sind nicht falsch, sie lassen nur viele Möglichkeiten ungenutzt. Wenn man zwei, drei Schreibregeln befolgt, wird der Text gleich viel besser. Ich denke, dass wir 90 Prozent der Probleme selber lösen können, für die letzten zehn Prozent kann man andere fragen oder sich coachen lassen.
Kann wirklich jede:r Geschichten so schreiben, dass es auch lesbar für andere wird – oder ist das ein Talent, das nur wenigen vorbehalten ist?
Jeder kann so schreiben, dass es anderen zu Herzen geht. Denn schreiben heißt: Trau dich, mehr zu zeigen als bisher. Denk genauer darüber nach. Ordne deine Gedanken – in zeitliche/logische Reihenfolge. Und hab dich lieb, in allem, was nicht gleich funktioniert.
Allerdings steht dem unsere Welt entgegen, denn oft heißt es: Nimm dir nicht viel Raum! Sei effizient! Komm auf den Punkt! Schnell, schnell! Gib nicht zu viel von dir Preis!
Literatur ist das Gegenteil. Kein Wunder, dass es schwierig ist.
Doch das Schöne ist: Biografisches Schreiben kann das alles öffnen.
Mehr über mich, meine Leben und meinen Werdegang findet ihr hier!
Ich bin aber auch sehr neugierig. Was fasziniert euch am Schreiben? Habt ihr das biografische Schreiben schon ausprobiert? Was sind die süß-sauren Momente in eurem Leben? Und wer weiß ein gutes Rezept für Ribiselkuchen? 😉
Gedanken…Punkte
Einen dicken Punkt in die Reihe der Pünktchen hinzugefügt, was ich tun könnte, um meine kreuz und quer geschriebenen Texte in eine Form zu bringen, einfach damit sie nicht verloren gehen. Ich denke, dass ich demnächst bei dir landen werde, liebe Claudia. Einen Info-Abend hab ich ja schon einmal besucht.
Danke für dein Feedback, das freut mich sehr!