Erzähl mir von früher: Wie wir mehr über unsere Großeltern erfragen können

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Hätte ich doch mehr gefragt!

Kennst du das Gefühl, wenn du am Küchentisch sitzt und alte Fotoalben durchblätterst? Da taucht ein Bild auf: Opa als junger Mann, stolz in einer Uniform, oder Oma in einem schicken Kleid, lachend mit ihren Schwestern im Garten. Du fragst dich: Was hat er gedacht? Wer war sie damals? Doch die Frage bleibt unbeantwortet, weil die Gelegenheit verpasst wurde, ihre Geschichten zu hören.

„Hätt‘ ich doch gefragt!“ Das höre ich oft in meinen Workshops für biografisches Schreiben. Vielen Menschen wird erst später bewusst, dass sie noch viel mehr über ihre Familiengeschichte hätten erfahren wollen. Mit den folgenden Tipps und Anregungen möchte ich dich ermutigen, deine Fragen jetzt zu stellen, um die Geschichten zu bewahren, Erinnerungen festzuhalten und tiefere Verbindungen zu schaffen. 

Ein Foto aus dem Familienalbum: Wer sind die Menschen auf dem Bild?

Warum ist das wichtig?

Fragen zu stellen bedeutet, Brücken zu bauen. Es geht nicht nur um die reinen Fakten – es geht um die Emotionen, um die Lebensfreude, um die Momente, die deine Eltern oder Großeltern geprägt haben. Jede Geschichte, die wir hören, ist ein kleiner Schatz, der uns zeigt, woher wir kommen, und uns ein bisschen mehr über uns selbst verrät. 

Manche Großeltern sehen das vielleicht anders. „Ach, mein Leben war nicht so spannend“, sagen sie bescheiden. Die sogenannte ‚Silent Generation‘ (geboren zwischen 1928 und 1945), zu der viele Großeltern gehören, wurde oft geprägt von Bescheidenheit und der Zurückhaltung, über das eigene Leben zu sprechen. 

Doch das kannst du entkräften. Nicht die großen Ereignisse, sondern die Alltagsgeschichten sind oft die interessantesten. Sie erzählen von Zeiten, die anders waren, von Werten, die heute vielleicht vergessen scheinen, und von einer Welt, die sich ständig verändert hat.

Tipp: Mache deinen Großeltern klar, dass ihre Geschichten wertvoll sind, und erinnere sie daran, dass es nicht um große Held:innentaten geht, sondern um das Leben selbst. Zeige echtes Interesse, indem du gezielt nach Details fragst.

Bei entspannter Stimmung ist es viel einfacher, die Fragen nach der Vergangenheit zu stellen.

Den richtigen Zeitpunkt finden

Manchmal ergeben sich die besten Gespräche einfach spontan – beim Sonntagskaffee, beim Spaziergang, bei einem Krankenbesuch oder beim gemeinsamen Kochen. Es ist wichtig, diese Momente zu erkennen und zu nutzen. Aber genauso wertvoll kann es sein, gezielt ein Gespräch zu suchen. Vielleicht ein gemütlicher Nachmittag bei einer Tasse Tee, an dem du einfach sagst: „Erzähl mir doch mal von früher.“

Wichtig ist, dass keine Hektik aufkommt und die Stimmung entspannt ist. Je ruhiger die Atmosphäre, desto leichter lassen sich Erinnerungen aus der Vergangenheit wieder hervorholen. Und wenn die Großeltern mal nicht sprechen möchten, ist das auch okay. Vielleicht gibt es einfach Tage, an denen es schwieriger ist, auf die Erinnerungen zuzugreifen.

In diesem Zusammenhang kann es helfen, mehr über Erinnerungen, wie sie abgelegt und wieder aufgeweckt werden, zu wissen. Hubert Klingenberger, der Experte für Biografiearbeit, hat mir im Interview, das du hier nachlesen kannst, meine Fragen rund ums Erinnern beantwortet.

Tipp: Lade deine Großeltern bewusst zu einem ruhigen Nachmittag ein, bei dem ihr ungestört seid. Plane genügend Zeit ein, damit kein Druck entsteht. Bringe vielleicht alte Fotos oder Erinnerungsstücke mit, um das Gespräch zu erleichtern.

Wie man ins Gespräch kommt: Tipps für einen sanften Einstieg

Am besten ist es , das Gespräch leicht zu beginnen. Sobald das Eis gebrochen ist, kommen die Geschichten oft wie von selbst. Und wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Dann probiere es beim nächsten Mal wieder.

Tipp: Beginne mit leichten, positiven Themen, die schöne Erinnerungen wecken. Achte darauf, nicht zu direkt nach schwierigen oder emotional belastenden Themen zu fragen, wenn die Stimmung noch nicht danach ist. Halte das Gespräch locker und unverkrampft.

Für den Einstieg ins Gespräch eignen sich offene, unverfängliche Fragen. Hier ein paar Ideen, die den Gesprächsfluss in Gang bringen können:

  • „Was war deine schönste Erinnerung aus der Kindheit?“
  • „Wie habt ihr euch damals kennengelernt?“
  • „Was wolltest du als Kind unbedingt mal werden?“
  • „Welche Traditionen gab es in eurer Familie?“
  • „Was war dein Lieblingsessen in der Kindheit?“

Was tun, wenn die Großeltern nicht reden wollen

Manchmal sind ältere Menschen zurückhaltend, weil sie denken, dass ihre Geschichten nicht interessant sind. „Ach, das will doch keiner wissen“, oder „Mein Leben war ganz normal.“ Hier hilft es, ihnen zu zeigen, dass du wirklich neugierig bist. Sag ihnen, wie sehr du ihre Erlebnisse schätzt und dass es für dich eine Möglichkeit ist, sie besser zu verstehen.

Eine weitere Möglichkeit: Zeige Interesse an einem bestimmten Foto oder Gegenstand, der für sie wichtig war. „Erzähl mir doch mal die Geschichte zu diesem Bild.“ Das macht es für sie konkreter und weniger abstrakt, als einfach nur „von früher“ zu erzählen.

Was die NS-Zeit angeht, herrscht in vielen Familien Schweigen. Dazu hat der Historiker Johannes Reitter geforscht und ein Buch geschrieben. Im Interview (das du hier nachlesen kannst) hat er mir erzählt, was die Gründe für das Schweigen sind und was er sonst alles herausgefunden hat.

Tipp: Wenn sie sich nicht öffnen möchten, versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal, aber ohne Druck. Erzähle ihnen vielleicht zuerst eine Geschichte von dir selbst oder deiner Kindheit, um das Gespräch auf natürliche Weise zu starten. Manchmal hilft es auch, wenn man ihnen zeigt, dass ihre Geschichten ein Geschenk für zukünftige Generationen sind.

Ein wunderbares Lesebuch

Wohin mit all den Erinnerungen?

Egal, ob du nur ein paar Stichworte aufschreibst, ein kleines Notizbuch führst oder eine richtige Biografie daraus entstehen lässt – Hauptsache, die Erinnerungen werden festgehalten. Vielleicht entscheidest du dich, die Gespräche aufzunehmen, damit du später jedes Detail nachhören kannst. Auch das Gestalten eines gemeinsamen Familienalbums kann eine wunderbare Möglichkeit sein, die Geschichten für zukünftige Generationen zu bewahren.

Tipp: Überlege, wie du die Erinnerungen am besten dokumentieren möchtest. Eine Audioaufnahme oder ein Videointerview (dafür reicht ein ganz normales Smartphone) kann später wertvolle Erinnerungen lebendig machen. Ein Notizbuch, in dem du die schönsten Geschichten festhältst, eignet sich besonders gut, wenn du gern schreibst.

Inspiration für deine Geschichten bietet das Buch „Fragen hätte ich noch“, das im Rotpunktverlag erschienen ist. Es enthält 30 Erzählungen von Enkelkindern über ihre Großeltern, darunter auch die Geschichte von Christa Prameshuber. Die gebürtige Oberösterreicherin (jetzt lebt sie in der Schweiz) hat bereits über ihre drei rebellischen Tanten Bücher herausgebracht. In dieser neuen Geschichtensammlung schreibt sie sehr berührend über ihren Großvater, seine Kriegserlebnisse und die Nazi-Zeit in Linz.

Es ist nie zu früh, aber irgendwann zu spät

Die wichtigsten Gespräche sind oft die, die man nicht plant. Lass dich auf die Geschichten deiner Großeltern ein, solange du noch die Gelegenheit dazu hast. Frag sie, hör ihnen zu, lass sie erzählen. Und wer weiß, vielleicht entdeckst du eine Seite an ihnen, die du so nie erwartet hättest.

Gerade noch rechtzeitig hat Timm (Doppel-m) Busche begonnen, mit seiner Mutter Elke Gespräche über gemeinsame Erlebnisse zu führen. Sie war schwer an COPD erkrankt, kam ins Hospiz, wollte aber unbedingt, dass etwas bleibt von ihr und ihrem Leben. Aus den Unterhaltungen über Erinnerungen und übers Abschiednehmen ist ein wunderbarer Podcast mit dem Titel „Das letzte Gespräch“ entstanden. Mittlerweile ist Elke verstorben, Timm führt den Podcast weiter und gibt nun anderen die Möglichkeit, die Erinnerungen an liebe Menschen zu teilen.

Tipp: Mach dir bewusst, dass es keine perfekten Momente gibt, aber viele gute Gelegenheiten. Halte immer ein offenes Ohr bereit und sei bereit, spontan zuzuhören. Jede Geschichte, die du erfährst, ist ein kleines Geschenk, das bleibt.

Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge dieses Podcasts mit Timm Busche.

Was tun, wenn die Großeltern bereits verstorben sind

Wenn die Großeltern bereits verstorben sind, gibt es dennoch Möglichkeiten, ihre Geschichte zu rekonstruieren und mehr über ihr Leben zu erfahren.

  • Familienmitglieder befragen: Sprich mit anderen Verwandten, wie Eltern, Tanten, Onkeln oder Cousins. Sie haben möglicherweise eigene Erinnerungen oder Anekdoten, die sie teilen können.
  • Alte Briefe und Dokumente: Schau dir alte Briefe, Tagebücher oder Postkarten an, die noch vorhanden sind. Diese Dokumente können wertvolle Einblicke in das Leben deiner Großeltern geben.
  • Fotos durchstöbern: Fotos können Geschichten erzählen. Versuche, durch Fotos mehr über die Welt der Großeltern und ihre Erlebnisse zu erfahren. Manchmal gibt es auf der Rückseite von Fotos Notizen oder Namen, die helfen können, Geschichten nachzuvollziehen.
  • Ahnenforschung betreiben: Die Daten aus den Archiven und Matriken haben oft mehr Inhalt als die reinen Fakten. Mehr zu den besten Quellen und zur Faszination Ahnenforschung, erfährst du im Interview mit Gerlinde Fichtinger.
  • Oral History Archive: Manche Gemeinden oder Universitäten haben Archive, in denen alte Interviews oder Aufzeichnungen gesammelt sind. Es lohnt sich, dort nach Geschichten oder Informationen zu suchen, die vielleicht auch deine Familie betreffen, zum Beispiel in der Topothek deiner Heimatgemeinde.
  • Freunde und Bekannte kontaktieren: Oftmals haben auch alte Freunde deiner Großeltern wertvolle Geschichten und Erinnerungen, die dir helfen können, ihre Lebensgeschichte zu vervollständigen.

Tipp: Sei geduldig bei der Suche nach Informationen. Es ist oft ein Puzzle, das sich Stück für Stück zusammensetzt. Jede kleine Information trägt dazu bei, ein umfassenderes Bild deiner Großeltern zu bekommen.

 

Mehr über mich, meine Leben und meinen Werdegang findet ihr hier!

Ich bin aber auch sehr neugierig. Was fasziniert euch am Schreiben? Habt ihr das biografische Schreiben schon ausprobiert? Was sind die süß-sauren Momente in eurem Leben? Und wer weiß ein gutes Rezept für Ribiselkuchen? 😉

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