Andere zum Schreiben anstiften – Interview mit Ramona Jakob

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Bei ihr hat alles begonnen. Ohne es zu wissen, hat Ramona Jakob (im Bild rechts) bei mir eine Begeisterung entfacht, die bis heute anhält. 2015 machte ich bei ihr die Ausbildung zur Seminarleiterin für biografisches Schreiben. Warum? Weil ich Zeit hatte (ich war in Bildungskarenz) und weil ich unbedingt nach Berlin wollte, wo der Kurs stattfand (auf dem Bild links bin ich bei der Schreibtherapie-Ausbildung in Berlin). Selbst Schreibworkshops abzuhalten, war nicht meine Intention. Doch es kam anders. Die Methoden, die wir lernten, das Schreiben über mein Leben, die Elfchen und Rondells begeisterten mich derartig, dass ich das nicht für mich behalten konnte. Also begann ich, andere zum Schreiben anzustiften: zuerst die Freundinnen, meinen Mann, die Frauengruppe meiner Mama, meine Kinder und ihre Freunde im Hort und so weiter.

Heute sind die Workshops ein wichtiger Teil meiner Biografiearbeit. In diversen Seminarhäusern und online zeige ich anderen, wie man übers Leben schreibt. Dabei probiere ich immer wieder Neues aus und versuche auch, zwischendurch Zeit für meine Schreibereien zu finden.

Und Ramona? Sie ist ist Poesiepädagogin, leitet Schreibgruppen, lehrt an Hochschulen und hat mittlerweile ihre Dissertation fertiggestellt und als Buch herausgebracht: Poesie ist Lebenstanz.

Im Interview reden wir über ihre Lieblingsschreiberei, die Gedichte, über Biografien, Schreib-Übungen und das Überwinden von Schreibblockaden – was man hier nicht lesen kann, aber sich vielleicht vorstellen möchte: Ramona spricht herrlich mit Berliner Schnauze.

Du stiftest seit 1990 andere zum Schreiben an. Mit welchen Mitteln?

Ramona: Begonnen habe ich ganz naiv. Meine Freundin Katrin Girgensohn und ich wollten einfach schreiben mit anderen und sie hatte da so ein kleines Buch von einer Volksschullehrerin mit ganz einfachen Übungen wie „Greif in deine Hosentasche, leg das was drinnen ist auf den Tisch und schreib darüber“. Wir haben dann in einem Frauenzentrum einen Aushang gemacht und es kamen tatsächlich Frauen, die das machen wollten. In den 1990er Jahren war das noch recht ungewohnt für alle, vor Ort zu schreiben und nicht nur die Texte zu bringen. Mit der Zeit haben wir begonnen, Schreibsettings aufzubauen (wie im Buch „66 Schreibnächte“ beschrieben). Wir sind da reingewachsen und haben dann die Ausbildung zu Poesiepädagogen gemacht und das ganze methodische Handwerkszeug gelernt. Im Nachhinein. Da dachte ich oft: Aha, so heißt das also, was wir machen.

Zum Schreiben anzustiften bedeutet ja nichts anderes, als einen Impuls zu setzen. Das ist anders, als wenn man zu Hause sitzt, und grübelt, was man schreiben könnte. In der Gruppe ist so eine Energie da, wo sich Leute auch gegenseitig motivieren. Wir sind dann dazu übergegangen, Settings vorzubereiten und zu schauen, wie kann man Material sammeln und die Leute für das Thema öffnen, sodass die Ideen sprudeln. Und mehr machen wir eigentlich nicht.

Das Buch von Ramona Jakob ist wirklich sehr inspirierend.

Was schreibst du selbst?

Ramona: Hauptsächlich Gedichte. Auch wenn ich manchmal auch längere Texte schreibe, kehre ich immer wieder zu dieser Kurzform zurück. Die Lyrik ist meine Sprache, da kann ich mich am besten ausdrücken. Wenn Geschichten, dann sind das sehr kurze. Mit Ausnahme der Sachbücher natürlich.

Damit hast du auch mich angesteckt – vor dem Kurs bei dir habe ich nie Gedichte geschrieben. Aber jetzt finde ich das auch toll und leite in den Workshops dazu an …

Ramona: Für Schreibgruppen eignen sich Gedichte auch ganz gut, weil sie in dieser kurzen Sequenz zu bewältigen sind.

Warum lohnt es sich, Gedichte zu schreiben. Viele haben davor Angst, so wie ich auch früher!

Ramona: Die Angst der Leute besteht darin, dass sie denken, das ist etwas so Kunstvolles, das kann ich nicht. Aber das stimmt nicht. Zunächst ist es eine Textform, die sehr kurz ist. So ein Elfchen sind elf Worte, die kriegt jeder irgendwie hin. Der zweite Aspekt ist, das es anregt, aus der Alltagssprache herauszugehen. Bei Geschichten sind wir immer noch in sprachlichen Strukturen des Alltags: Subjekt, Prädikat, Objekt. Das Gedicht durchbricht diese Strukturen und damit durchbricht man auch Denkblockaden. Du kommst zu neuen Ideen und Gedanken. Das ist eine wertvolle Eigenschaft. Trotz allem hat man immer ein Gespür, das etwas passt oder nicht. Und wenn es nicht passt, fängt man an zu suchen und landet bei Wörtern, die man gar nicht auf dem Schirm hatte und denkt dann: So habe ich es noch gar nicht gesehen.

Gedichte sind immer deutbar, weil man Bilder produziert. In den meisten Fällen, kann man sie mit verschiedenen Blickwinkeln deuten. Das ist ein Gesprächsangebot für andere, die vielleicht etwas ganz anderes darin sehen. Und so wächst ein Gedicht.

Was ich auch daran mag: Banale Dinge werden zu etwas Besonderem, einfach weil man eine besondere Sprache verwendet. Das ist doch ein Geschenk, das macht glücklich.

Wenn man aus einem längeren Text oder einer Gedankensammlung ein Gedicht macht, dann kommt man auch auf den Punkt. Das fokussiert noch einmal und ist ein gutes Mittel, um in einer Schreibgruppe die herumfliegenden Gedankenfetzen wieder einzusammeln.  

Das Gedicht muss keinen Reim haben, aber es hat einen Rhythmus. Und das Reimen bringt einen auch in einen Rhythmus, der sich auf den Herzschlag, auf die Atmung, auf körperliche Befindlichkeiten niederschlägt, sodass man mit sich im Gleichgewicht kommt. Das ist doch toll.

„Was ich an Gedichten mag: Banale Dinge werden zu etwas Besonderem, einfach weil man eine besondere Sprache verwendet. Das ist doch ein Geschenk, das macht glücklich.“

(Ramona Jakob)

Übers Leben zu schreiben ist identitätsstiftend

Biografisches Schreiben – was ist das Besondere daran? Oder ist sowieso alles Schreiben biografisch irgendwie?

Ramona: Du bist beim Schreiben immer mit deiner Person drin und verarbeitest bewusst oder unbewusst eigene Gedanken und Ideen. Das bewusste Schreiben über die eigene Biografie hat für mich den Aspekt des Klärens. Sich über die eigene Situation klarer werden. Es ist identitätsstiftend, ich verankere mich mit dem Schreiben. Wenn ich das aufschreibe, was ich erlebt habe, kann mir das niemand mehr nehmen. Ob ich umgezogen bin oder die Familie verlassen musste, hier stehe ich. In einer Zeit, wenn so viel im Umbruch ist und soziale Strukturen sich ständig wandeln, ist das schon ein gutes Mittel, einen Anker zu schaffen und sich seiner selbst zu vergewissern. Das ist in unserer Generation noch mehr als nur Zeitzeugenarbeit.

Biografisches Schreiben kann man aber in jedem Alter machen, oder?

Ramona: Ja, das passt für alle Generationen. Kinder sind sehr im Jetzt oder ein Stück in der Zukunft, während ältere Menschen mehr in den Rückblick gehen. Da muss man gucken, was im jeweiligen Alter angesagt ist. Ich habe auch schon mal einen Workshop mit Kindern und Senioren gleichzeitig gemacht. Das Thema war der zwölfte Geburtstag. Das war sehr spannend und ein interessanter Austausch – kann ich nur empfehlen. Wenn es darum geht, bestimmte Gruppen zu einer Verständigung zu bringen, sollten sie miteinander schreiben. Das ist friedensstiftend.

Warum sollte man seine Biografie aufschreiben (lassen)?

Ramona: Es hilft den Leuten, den roten Faden für sich zu finden. Eine Standortbestimmung zu machen, zu sehen, was habe ich geleistet, was sind meine Entwicklungen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern das Leben einzuordnen. Ich kann es nicht verändern, aber anders betrachten. Und meinen inneren Frieden damit schließen.

Die einen schreiben, die anderen lassen schreiben oder gehen zum Psychologen. Das ist alles Biografiearbeit.

Eine Biografie ist ein großes Projekt – womit soll man anfangen?

Ramona: Man sollte mit dem anfangen, was einem gerade am meisten bewegt. Das ist die Erinnerung, die gerade da liegt und die zieht die nächste nach sich. Wenn man am Anfang beginnt, ist das viel schwerer, da braucht man eine Weile.

Für die Einen reicht es, bestimmte Themen aufzuschreiben. Wenn man aber alle Etappen aufschreiben möchte, kann man sich einen Plan machen und schauen, womit man beginnt. So kann man sich den Berg vom Hals schaffen. Dann muss man auch nicht chronologisch arbeiten. Wenn man hin und her springt, hat das den Vorteil, dass sich das Denken mehr vernetzt. Dann hat man nicht das Gefühl, das etwas davonläuft oder dass man überfordert ist.

Schreibst du selbst schon an deiner Biografie?

Ramona: Ich schreibe biografische Texte. Ich habe das Bedürfnis, einzelne Dinge aufzuschreiben, aber nicht die ganze Biografie.

Was ist der Titel für deine Biografie?

Ramona: Das ändert sich immer wieder. Ich bin immer noch beim Thema Loslassen und Gelassenwerden. Auf ins Grüne.

Farben und die Form können hilfreich sein gegen Schreibblockaden

Wie überwindest du Schreib-Blockaden? Verrate mir doch ein paar Tricks!

Ramona: Die größte Angst ist jene vorm weißen Blatt. Also sorge ich dafür, dass es nicht weiß ist. Und dass etwas draufsteht, ein kleiner Impuls. Dann kommt man ins Wort und es entsteht vielleicht schon die erste Schreibidee. Freies Schreiben hilft auch vielen. Man schreibt einfach drauflos, ganz egal, ob richtig oder falsch, ohne es nachher vorzulesen. Sodass einfach das Schreiben in Fluss kommt. Je spielerischer man etwas macht, umso schneller ist der Druck weg. Da löst sich ganz viel, es können mehr Gedanken kommen. Der Widerspruch ist ja: Wenn ich eine Form vorgebe, erzeugt es Blockaden. Ich habe aber die umgekehrte Erfahrung gemacht. Wenn ich meine Gedanken in eine Form gießen kann, ist das wieder ein Spiel, eine Knobelaufgabe. Das kann auch dazu führen, dass Schreibblockaden beseitigt werden. Über den Rhythmus vergessen viele den Zensor. Alles hilft, was dazu dient, nicht an die Blockade zu denken.

Deine Lieblingsübung?

Ramona: Meine Lieblingsformen sind Gedichtformen wie Rondell und Villanelle, bei denen sich bestimmte Zeilen wiederholen. Es hat eine ganz faszinierende Wirkung. Das bringt Rhythmus und es ist immer wieder schön, was dabei herauskommt. Oder das Sonett. Mit dieser Struktur kann man ganz viel erreichen. Das hat doppelten Effekt. Zuerst ist die Angst, aber dann freut man sich, dass man so etwas Kunstvolles wie ein Sonett geschrieben hat. Und dazu das Inhaltliche: These, Antithese, Synthese. Das bietet eine ganz besondere Chance. Man kann mit poetischen, mehrdeutigen Assoziationen arbeiten und es kommt ein Text zustande, der herausfordert.

Deine neueste Erkenntnis beim Schreiben?

Ramona: Die Kraft der Gedichte, dazu habe ich eine Doktorarbeit geschrieben ( Poesie ist Lebenstanz). Das Buch ist fertig. Da habe ich alles zusammengefasst, was ich über das Schreiben von Gedichten herausgefunden habe. Für mich hat sich bestätigt, dass das meine Form ist. Gedichte haben ein so großes Potenzial an Erkenntnis, Kreativität und Schöpferkraft. Ich kenne keine andere Textform, die so viel in sich birgt wie das Gedicht.

Schreiben kann gesellig sein, das zeigt die Beliebtheit von Schreibgruppen – was braucht es dafür?

Ramona: Eine Moderation und dass man das Schreiben als Gruppe begreift, in der es Regeln gibt, weil wir Spaß haben möchten und nicht uns gegenseitig erzählen, wer die Beste ist. Ein Prozess, bei dem jeder so sein kann, wie er möchte. Nach der Schreibzeit kommen alle zusammen und teilen sich die Ergebnisse und gehen in die Diskussion. Dafür muss Zeit sein. Da entstehen Freundschaften. Wichtig ist auch eine Prise Humor, die man hineinbringt. Miteinander lachen ist eine Grundvoraussetzung. Wir haben uns auch immer Mühe gegeben, den Raum zu gestalten. Um eine lockere Atmosphäre möglich zu machen.

Und warum kommen immer viel mehr Frauen in die Schreibgruppen als Männer?

Ramona: Das wüsste ich auch gern. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Frauen eher fürs Kreative sind. Wenn Männer kreativ sind, sind sie Künstler. Wenn Frauen kreativ sind, sind sie erst einmal kreativ und haben Spaß. Männer finden sich eher in literarischen Kursen für Krimis oder ähnliches. In biografischen Schreibgruppen sind es Männer, die ihre Biografie von A bis Z schreiben wollen. Ich glaube, dass Männer sich das Spielen weniger gestatten. Spielen ist nicht. Wenn sie aber auftauen und sich darauf einlassen, haben sie einen ganz großen Gewinn. Diese Erfahrung habe ich schon gemacht. Und es gibt auch eine Untersuchung von James Pennebaker (Expressives Schreiben), der herausfand, dass Männer mehr vom Schreiben in der Gruppe haben als Frauen. Das hat etwas mit Differenzerfahrung zu tun. Diejenigen, die vorher am wenigsten damit zu tun haben, profitieren am meisten.

„Wenn ich meine Gedanken in eine Form gießen kann, ist das ein Spiel, eine Knobelaufgabe. Das kann auch dazu führen, dass Schreibblockaden beseitigt werden.“

(Ramona Jakob)

Geselligkeit: In Schreibworkshops wollen wir Spaß haben und uns nicht gegenseitig erzählen, wer die Beste ist.

„Wenn Männer kreativ sind, sind sie Künstler. Wenn Frauen kreativ sind, sind sie erst einmal kreativ und haben Spaß.“

(Ramona Jakob)

Mehr über mich, meine Leben und meinen Werdegang findet ihr hier!

Ich bin aber auch sehr neugierig. Was fasziniert euch am Schreiben? Habt ihr das biografische Schreiben schon ausprobiert? Was sind die süß-sauren Momente in eurem Leben? Und wer weiß ein gutes Rezept für Ribiselkuchen? 😉

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