„Promis bringen weniger Geld“: Der Biograf der Spider Murphy Gang im Interview

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Wer ist Andreas Mäckler?

Andreas Mäckler ist Publizist, Schriftsteller und Biograf und lebt in Bayern. Er schreibt die Lebensgeschichten von „normalen“ Menschen auf, hatte aber auch schon den einen oder anderen Promi als Kunden. Vor fast 20 Jahren gründete er das Biografiezentrum, das ist die Vereinigung der deutschsprachigen Biograf*innen. Dort habe ich ihn kennengelernt und bin derzeit die einzige Österreicherin in diesem Club.

Andreas ist ein toller Lehrer und in seinen Kursen kann man von seiner langjährigen Erfahrung extrem profitieren. Was mich außerdem beeindruckt: Er hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag! 

Im Interview habe ich ihn ausgefragt: über seine berühmten Kund*innen, den allgemeinen Biografietrend, spannende und unangenehme Kund*innen und übers Biografiezentrum. Er erklärt auch, warum weniger prominente Menschen oft die besseren Auftraggeber sind.

Wir schreiben Ihre Lebensgeschichten!

(biogeaphiezntrum.de)

Biograf werden

Wie lange bist du schon Biograf?

Ich bin seit 1984 als professioneller Autor tätig. Also seit der Studentenzeit, ich habe Kunstgeschichte, neuere deutsche Literatur und Geschichte studiert. Mein erstes und erfolgsreichstes Buch war: Was ist Kunst, eine Zitatensammlung mit Antworten auf diese Frage. Es ist 1987 im Dumont-Verlag erschienen und 35 Jahre auf dem Markt geblieben. Auftragsbiografien schreibe ich seit 2003.

Wie viele Biografien hast du geschrieben?

Ich habe lange nicht mehr gezählt – Auftragsbiografien waren es schon über 30. Noch mehr habe ich produziert.

Wie kamst du denn dazu?

Nach der Promotion habe ich als Lektor gearbeitet, dann bin ich in den Journalismus gekommen und danach habe ich mich als Publikationsdienstleister selbstständig gemacht. Damals kam gerade die „Books on demand“-Technologie auf und ich bekam immer mehr Biografien und Autobiografien zu drucken. Da ist mir aufgefallen, wie groß dieser Markt ist und ich habe mich vermehrt darauf konzentriert.

Und warum hast du dann begonnen, selbst Biografien zu schreiben?

Das ging 2003 über eine Zeitungsannonce. Da stand: Wer hilft mir beim Schreiben meiner Biografie? Und ich hatte ja schon Biografien produziert, also bot ich meine Dienste an. Wir haben uns getroffen und es wurde eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Die alte Dame wollte mich sogar adoptieren, so begeistert war sie.

Waren auch schon Prominente unter deinen Auftraggebern?

1992 habe ich mit Gottfried Helnwein ein Buch gemacht: Malerei muss sein wie Rockmusik – Gottfried Helnwein im Gespräch mit Andreas Mäckler. Da gab es schon ein Kapitel über die Biografie als Gesamtkunstwerk. Beim Interview ist mir aufgefallen, wie sehr er seine Lebensführung einer Künstlerbiografie anpasst – also sein Leben als Gesamtkunstwerk entwickelt. Das war interessant. Es gibt ja auch den Begriff der Lebenskunst im Sinne von bewusster Lebensführung.

Das berühmteste Buch

Wer scheint noch auf deiner Kundenliste auf, den man kennen könnte?

Domenika, eine ehemalige Prostituierte aus Hamburg – sie war sehr bekannt, ist aber schon gestorben. Oder Rudi Gutendorf, Fußballtrainer und -spieler. Er war ein Held für die alte Generation. Bei der Spider Murphy Gang hat es lange gedauert, bis sie mich erhörten. Ich habe ihnen an den Bühnenausgängen aufgelauert und Kontakt mit der Frau des Bandleaders geknüpft, die immer am Merchandisingtisch stand. So kam ich immer näher an Günther Sigl, den Sänger heran. Bis er eines Tages sagte: Besuch mich doch mal in München. Er sagte zu und irgendwann war auch der Manager zufrieden. Es wurde eine freie Biografie, ich musste ein Exposé schreiben und einen Verlag suchen. Mit den Jungs war vereinbart: keine Frauengeschichten – auch wenn die Ehefrauen längst wussten, dass sie keine Musterknaben waren. Den Ex- Schlagzeuger, Franz Trojan, habe ich im Obdachlosenheim besucht. Er war den Drogen und dem Alkohol verfallen und hat alles verloren … 

Das Buch ist erschienen: Skandal! Die autorisierte Bandbiografie der Spider Murphy Gang. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2017.

Eine Frage des Geldes

Was ist besser: private oder prominente Biografien?

Bei den privaten Biografien sind die Honorare wesentlich besser und kalkulierbar. Der Verkauf über Buchhandel ist schwierig. Promi-Biografien bringen also nicht so viel Geld – außer man landet einen Bestseller.

Wer war der spannendste Kunde oder die spannendste Kundin – abgesehen von den Promis?

Ich habe die Biografie für einen Waffenhändler geschrieben, der als Habenichts von der DDR in den Westen kam und dann wieder zurück in die DDR zog. Er war schon als Kind ein großer Waffennarr. Als Geschäftsmann belieferte er Schützenvereine, machte Schulungen für Security-Firmen und wurde zum Millionär. Zu mir sagte er den interessanten Satz: Ich finde das toll, was sie machen, aber kann man damit reich werden?

Und, kann man?

Ich habe niemanden kennengerlernt, der als Biograf eine große Firma aufbauen konnten. Das sind in der Regel Kleinunternehmer, Einzelpersonen, manche schließen sich zusammen – also reich im Sinne eines Waffenhändlers können wir nicht werden. Ich kann aber gut davon leben.

Gibt es Biografie-Projekte, die du nicht annehmen würdest? Oder musstest du bereits ablehnen?

Ich lehne ab, wenn Kunden nicht bezahlen. Eine Prostituierte kam einmal alkoholisiert zum Termin und trank auch im Laufe des Interviews. Ich dachte mir nichts dabei, konzentrierte mich eher darauf, dass ich Stoff für das Buch bekomme – und mit Trinkern hatte ich schon vorher zu tun. Sie hat aber dann die Zahlungen nicht eingehalten, daraufhin habe ich die Reißleine gezogen.

Die Geschichte eines Kinderschänders würde ich wahrscheinlich nicht annehmen. Ich habe aber im Gefängnis Landsberg Biografiekurse gegeben, 10 Wochen lang. Die Häftlinge hatten interessante Geschichten zu erzählen und waren sehr konzentriert und fleißig bei der Arbeit.

Dein Tipp für eine gute Struktur einer Biografie?

Chronologie ist die beste Grundstruktur, weil das unser Leben spiegelt. Einzelne Kapitel können aber auch bestimmte Themen haben, zum Beispiel Partnerschaft oder Beruf. Auch Fotos sind den Leuten total wichtig, da gibt es nur immer wieder Qualitätsprobleme, mit denen man umgehen muss. Der besagte Waffenhändler wollte übrigens keine Bilder, er war auch im Sondereinsatz bei Militäreinrichtungen. Das war seine Erklärung.

Andreas und ich beim Biografiekurs in München - von ihm konnte ich viel lernen.

Biografieboom und Büchertradition

 

Was schätzt du an der Biografie-Arbeit besonders?

Es ist immer Arbeit, man darf sich das nicht so vorstellen, als würde es immer fließen. Manchmal arbeite ich nur zwei bis drei Stunden am Tag an einem Projekt. In der Regel ist es aber sehr interessant – selten trifft man auf jemanden, der nichts zu erzählen hat.

Derzeit herrscht ein regelrechter Biografieboom – wie erklärst du dir das?

Ja, das sagen auch viele Kollegen im Biografiezentrum, dass sie jetzt mehr Aufträge als vor der Pandemie haben. Ich denke, dass es damit zu tun hat, dass das Bewusstsein für das Ende des Lebens stärker geworden. Wir leben in keiner schönen Zeit. Da merkt man, dass mehr Besinnung stattfindet.

Aber warum gerade Bücher und nicht irgendein digitales Medium?

Das Buch ist das einzige, das alle technischen Trends überleben wird. Meine ersten Texte in den 1990er Jahren waren noch txt-Texte. Die werden heute gar nicht mehr richtig angezeigt. Ob in 20 Jahren noch pdf-Dateien gelesen werden können, weiß niemand. Ein Buch ist einfach haltbar. Und die Leute schätzen es, weil sie es in die Hand bekommen.  

Das Thema Privatbiografien ist ein sehr junges. Du hast dennoch schon 2004 das Biografiezentrum gegründet – was war deine Motivation?

Ich habe zuerst nur eine Webseite gemacht, da kamen erste Anfragen von Kollegen. Stefan Schwidder aus Hamburg hatte damals schon einen Ratgeber geschrieben: „Ich schreibe, also bin ich“ – das habe ich als Buch produziert. Und er hat dann mit mir das Biografiezentrum aufgebaut. Es geht dabei um die Vernetzung mit anderen Biografinnen, weil man voneinander lernen kann und auch Öffentlichkeitsarbeit besser gemeinsam stemmt. Am meisten Presse bekamen wir für die Biografietage, die wir schon mehrmals organisiert haben. Wir sind zwischen 50 und 60 Mitglieder – es ist und bleibt eine kleine Nische.

Ich bin die einzige Österreicherin – warum das?

Das weiß ich auch nicht, bei den Kompaktkursen für Biograf*innen sind jedenfalls immer viele österreichische Teilnehmer*innen.

Biograf als Beruf – eine Empfehlung?

Für Leute, die gerne schreiben und auch lernwillig sind, ist es ein schöner Beruf. Man trifft viele Menschen, die einem mit ihrer Lebens- und Unternehmensgeschichte beeindrucken. Das ist sehr bereichernd und unterhaltsam, aber eben auch Arbeit. Sind die Geschichten langweilig, muss man das freundlich diplomatisch vermitteln. Man muss auch etwas können, oft passiert learning by doing. Jedenfalls ist es leichter, als für den Buchmarkt zu arbeiten. Verlagsbücher und Auftragsbiografien – da ist ein  himmelhoher Unterschied. 

Mehr über mich, meine Leben und meinen Werdegang findet ihr hier!

Ich bin aber auch sehr neugierig. Was fasziniert euch am Schreiben? Habt ihr das biografische Schreiben schon ausprobiert? Was sind die süß-sauren Momente in eurem Leben? Und wer weiß ein gutes Rezept für Ribiselkuchen? 😉

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