Arzt und Autor – David Fuchs über das Leben, das Schreiben und das Sterben

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Interview mit David Fuchs:

 

Als Biografin begleite ich oft ältere und auch betagte Menschen, die auf ihr Leben zurückblicken möchten. Sie sind meist pumperlgsund, wie man bei uns sagt, voller Pläne und mit genug Zeit, um ihre Erinnerungen in einem Buch festzuhalten.

Ganz anders ist das auf einer Palliativstation. Dort sind es nicht Jahre oder Monate, die bleiben – manchmal sind es nur noch Tage oder Wochen.

Mich hat beschäftigt, was Menschen in dieser letzten Lebensphase bewegt. Ob sie – trotz allem – noch etwas erzählen möchten. Ob es das Bedürfnis gibt, etwas weiterzugeben, festzuhalten, zu hinterlassen.

Also habe ich David Fuchs besucht. Er leitet die Palliativstationen im Ordensklinikum der Elisabethinen und der Barmherzigen Schwestern in Linz. Und er hat eine besondere Geschichte: Er ist nicht nur Arzt, sondern auch Autor.

Ängste und Abschied

David Fuchs weiß, was es heißt, wenn Menschen am Ende ihres Lebens ankommen – oder glauben, angekommen zu sein. In seinem Arbeitsalltag begegnet er täglich Geschichten, Ängsten und Abschieden. Und vor allem: sehr viel Individualität.

„Es ist sehr unterschiedlich, was die Menschen beschäftigt“, sagt er. „Am Anfang stehen fast immer die Beschwerden – es geht um körperliche, psychische, pflegerische Bedürfnisse.“ Heftigste Schmerzen, Atemnot, die Angst, wie es weitergehen soll, bestimmen die Gespräche. Manchmal auch ganz praktische Fragen: Wer kümmert sich um mich? Wo bekomme ich einen Heimplatz.

Biografie gibt wichtige Hinweise

Doch je mehr die Symptome gelindert werden können, desto mehr rücken andere Dinge in den Vordergrund. Dann werden aus Patient:innen wieder Persönlichkeiten – mit einer Geschichte, mit Erinnerungen, mit Eigenheiten. „Wir versuchen, zu verstehen, woher bestimmte Reaktionen kommen. Manches Verhalten ergibt auf einmal Sinn, wenn man die Biografie kennt.“

Fuchs betont dabei, wie wichtig es ist, die Grenzen zu wahren. Kein Mensch müsse sich im Angesicht des Todes alle Ängste auflösen. „Ich bin nicht da, um jemanden umzuprogrammieren. Ich bin da, um zu schauen, dass es den Menschen besser geht.“

Wunsch, etwas weiterzugeben

Und trotzdem passiert es oft, dass Menschen in dieser Phase etwas weitergeben möchten. Nicht unbedingt in langen Erzählungen – manchmal reicht ein einzelner Satz, ein Symbol, eine Geste. Eine Frau bestand darauf, ihren Schmuck selbst zu übergeben und jedes Stück zu erklären. Ein anderer Mann ließ mit großer Freude Handabdrücke auf Polsterbezügen machen – für jedes seiner neun Enkelkinder einen. „Das war richtig schön“, erinnert sich Fuchs. Und die Bedeutung ist riesig.

Auch biografische Werkzeuge wie das Buch „Oma, erzähl mal“ kommen zum Einsatz. Und manchmal entstehen Gespräche, ganz spontan, aus einer Anekdote oder einem kleinen Moment heraus. „Wir hören zu – aber wir bohren nicht nach. Nicht alles, was jemand erlebt hat, muss auch erzählt werden. Und schon gar nicht mir als Arzt.“

Beobachtungen aus dem Leben

Was David Fuchs auf der Palliativstation erlebt, verschwindet nicht einfach, wenn er nach Hause geht. Die Eindrücke, Gespräche, Stimmungen – sie begleiten ihn weiter. Und manche finden, verwandelt, ihren Weg in die Literatur. Denn David Fuchs ist nicht nur Arzt, sondern auch Autor.

„Ich verwende keine echten Patientengeschichten“, sagt er. „Aber thematisch bin ich natürlich inspiriert.“ Seine Figuren entstehen nicht aus konkreten Erlebnissen, sondern aus Stimmungen, wiederkehrenden Beobachtungen – und aus seiner eigenen Lebensgeschichte: „Denn das Einzige, was nicht erfunden ist, sind Dinge von mir selbst. Vor allem in den lyrischen Texten. Aber ich verrate nicht, welche.“

David Fuchs hat bereits drei Romane und einen Lyrikband veröffentlicht: „Leichte Böden“ (2020), „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ (2021), „Zwischen Mauern“ (2023) – allesamt im Haymon-Verlag.

Nach dem Erscheinen seines ersten Romans „Bevor wir verschwinden“ (2018) glaubten viele Kolleg:innen, sich oder andere wiederzuerkennen – auch wenn das gar nicht beabsichtigt war. „Es war irrsinnig spannend, wer seine Geschichte in dem Buch entdeckte“, erzählt Fuchs, der Schriftsteller. Besonders eine Szene sorgte für Aufsehen: „Ein Oberarzt, mitten in der Nacht in Unterhosen auf dem Stationsgang, motzt herum und isst ein Snickers.“ Eine erfundene Szene – aber offenbar sehr lebendig.

Tagebuch versus Literatur

Auch wenn er tagtäglich von Lebensgeschichten umgeben ist – seine eigene Biografie will David Fuchs nicht schreiben. „Noch kein Gedanke!“, sagt er.

„Ich schreibe zwar Tagebuch, seitdem ich 16 bin – ich habe das aber noch nie jemandem gezeigt.“ Für David Fuchs ist das private Schreiben etwas sehr Persönliches, etwas, das bei ihm bleibt. Wenn er dagegen an einem Buch arbeitet, ist das etwas völlig anderes: „Dann ist das nicht Tagebuch – das ist dann schon … ein Erzählen.“ Er spricht von literarisierter Autobiografie – keine Nacherzählung, kein Bericht, sondern eine bewusste Form des Schreibens. Etwas, das wirken will. Das ein „Du“ vor sich hat – ein imaginäres Gegenüber. Das auch überzeichnen darf, um eine bestimmte Tiefe zu erreichen.

Er schreibt abends, am Wochenende, allein. Das ist sein Ausgleich.

Und was für viele Schreiber:innen ein gefürchteter Schritt ist, liebt er: das Überarbeiten. Texte dürfen liegenbleiben, reifen, neu gelesen werden. Vielleicht auch verworfen. Schreiben ist für ihn nicht bloß Ausdruck, sondern Selbstreflexion – und ein Stück Psychohygiene.

Mehr über mich, meine Leben und meinen Werdegang findet ihr hier!

Ich bin aber auch sehr neugierig. Was fasziniert euch am Schreiben? Habt ihr das biografische Schreiben schon ausprobiert? Was sind die süß-sauren Momente in eurem Leben? Und wer weiß ein gutes Rezept für Ribiselkuchen? 😉

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